Samstag, 28. August 2010

Mosjøen - ein Bijou in der Wildnis



Nach unserer schönen Fahrt (siehe letzten Eintrag) trafen wir gegen Mittag wir in Mosjøen ein. Der «Stadt mitten in Norwegen», der «grössten Kleinstadt Norwegens», der zwangsläufigen Wahlheimat Ragnas. Einer Stadt, über die ich von vielen Leuten viele Meinungen gehört habe. Einer, der von dort kommt, beschrieb mir die Stadt als «wunderschön», mit einer «Landschaft wie auf den Lofoten». Die Berge höher, der Fjord imposanter, so sagte er. Ragna hingegen sagte, die Leute seien langweilig, die Stadt kein Bijou, das Leben dort trist. So war ich also gespannt, als wir mit Stephanies altem, treuen Opel um den Fjord kurvten, bis diese Stadt endlich auftauchte am Horizont.


Auch bei einer Stadt zählt der erste Eindruck und Mosjøen empfing mich mit sommerlichen Temperaturen und Sonnenschein. Wir fuhren als erstes in die Zahnklinik, in der Ragna arbeitet, holten den Schlüssel für ihre Wohnung und legten uns dort in den Garten. Stephanie in den Schatten unter einen Baum, ich aufs Liegebett in die Sonne. Endlich, endlich, so dachte ich, hat mich der Sommer gefunden. Rund 100 Kilometer südlich des Polarkreises genoss ich die wärmenden Strahlen. Ragna, so bin ich der Meinung, hat es in eine schöne Kleinstadt verschlagen, ihre Wohnung liegt etwas ausserhalb am Hang mit schöner Sicht. Es ist eine Einliegerwohnung, gebaut im Keller, wegen der Hanglage aber durchaus hell und vor allem hat sie einen Gartensitzplatz und einen Garten zur Mitbenutzung. Mir also gefiel es sofort, nicht nur wegen der Sauna im Badezimmer.


Wo liegt Brügge?
Zusammen mit Ragna und Stephanie schlenderte ich dann durch die Sjøgata, den alten Kern Mosjøens. Kleine Holzhäuschen erinnern daran, dass die Stadt eine Handelsstadt war. Sie sind durchaus schmuck, erinnerten mich an Brügge, wobei ich noch gar nie in Brügge war. (Brügge liegt in Belgien und der wunderbare Film «In Bruges» oder auf Deutsch «Brügge sehen und sterben» spielt dort). Wir setzten uns in die Sonne in ein Café und wäre da nicht der Hausberg, der Mitte August am späten Nachmittag seinen Schatten wirft auf die Stadt, wäre es fast zu perfekt gewesen.


Unter den strengen Augen einer Zahnärztin trank ich ein Coci, über meinen lädierten Zahn hatte ich einen Kaugummi geklebt, das funktionierte als Provisorium ganz gut. Es wurde aber noch am selben Abend von Ragna ersetzt. Selbst ist die Zahnärztin, dachte sie sich und mischte den Zement, den sie brauchte, um die Krone wieder anzukleben, selbst zusammen. Es schien mir leicht abenteuerlich («wart, ich muen mal läse, wie ich das mache muen», doch bis zum heutigen Tag hält die Krone, auch wenn ich Ragnas Tipp, ein Caramel zu kauen, nicht befolgt habe. Mit einem Halter-Caramel, welches ich von Gästen geschenkt bekam, fing das Unheil eben an Anfang August. Die Krone löste sich, liess sich aber von mir ohne Mühe wieder andrücken. Bis sie eben nicht mehr wollte (beim zweiten Mal wars eine simple Lindor-Kugel, welche die Krone aus der Fassung haute).


Als wären Sommer, Sonne, eine hübsche Kleinstadt und eine geflickte Krone nicht genug, krönten wir den Tag mit dem besten Nachtessen: Raclette. Ragna hatte noch Käse im Tiefkühler und so sassen wir also in ihrem Garten, assen Raclette und freuten uns des Lebens. Mit einem Umtrunk im verschlafenen Zentrum der grössten Kleinstadt Norwegens verabschiedeten wir Stephanie, die am nächsten Tag Richtung Schweden aufbrechen sollte.


Irrfahrt durch die grösste Kleinstadt
Am nächsten Tag schien noch immer die Sonne und ich schwang mich auf Ragnas Velo, um die Stadt zu entdecken. Als erstes verfuhr ich mich, das ist nichts Neues, wenn ich in Norwegen unmotorisiert unterwegs bin. Und da wurde mir die Stadt richtig sympathisch: Ein Kaff mit 10 000 Einwohnern (man merke, dies ist die dreifache Einwohnerzahl von Leknes!!), in welchem man sich mit dem Velo verfahren kann - das gefällt! So fuhr ich dem Fluss Vefsna entlang, über die eine Brücke hin, über die nächste zurück. Betrachtete die Sjøgata vom andern Flussufer aus und war doch so ein bisschen entzückt. So schön wie die Lofoten fand ich die Stadt nicht, hässlich allerdings auch nicht. 

Nachdem ich das Stadtzentrum doch wieder gefunden hatte, startete ich zu einer ausgiebigen Shoppingtour, die rund zwanzig Minuten dauerte (ich brauchte dringend kurze Hosen, wohnt Ragna ja am Hang, was mir gutes Velo-Training aber auch viel Schweiss bescherte).
Zudem wollte sie mit mir auf den Hausberg steigen. 818 Meter über Meer ist der Gipfel des Øyfjells. Wo der Weg durchführte, wusste meine Fremdenführerin nicht so genau, und ob wir den Gipfel wirklich erreichen, dessen waren wir uns auch nicht so sicher. Auch wenn ich es nicht richtig glauben wollte, so verwies Ragna mehrmals darauf, dass es in ihrer Stadt dunkel werde. So hatte ich das erste Mal seit ich im Norden war wieder eine Zeitlimite beim Wandern.


Im Schatten stiegen wir über Geröllfelder auf, in der Hoffnung, nach dem ersten Aufstieg den Weg zu finden. Das gelang uns wider Erwarten auch und schon bald standen wir in der Sonne. Wir genossen die Aussicht aufs Kaff, diskutierten, ob es nun schön sei oder nicht und marschierten brav Richtung Gipfel. Nach gut dreieinhalb Stunden Aufstieg erreichten wir den Steinhaufen, sozusagen das norwegische Gipfelkreuz, und schrieben uns stolz ins Gipfelbuch ein. Nach dem obligaten Gipfelfoto assen wir einen Apfel und Toblerone und wenn man so zuoberst auf dem Øyfjell steht, merkt man erst, dass die Stadt wirklich mitten in der Wildnis liegt. Für mich schien es wie ein Wanderparadies, doch als Ragna erzählte, dass in den umliegenden Wäldern und Bergen öfter mal Bären anzutreffen sind, verliess mich die Sehnsucht, tagelang mit dem Zelt über die Hügel zu wandern. Vielleicht werden es eher Tagestouren...


Obwohl die Sonne auf dem Gipfel noch immer schien, machten wir uns an den Abstieg. Zurück über Trampfelpfade, quer übers Geröllfeld und runter in den Birkenwald. Zurück am Fluss, wo Ragnas Auto stand, genossen wir die Abendstimmung. Und ich war überzeugt: In Mosjøen lässt es sich leben.


Wie das Leben dort wirklich ist, werde ich herausfinden: Es ist nämlich meine nächste Station in Norwegen. Ragna fährt in die Ferien und Sarah siedelt um, hütet die Wohnung. Von der Stadt «mitten in den Lofoten» (Leknes) in die Stadt «mitten in Norwegen» (Mosjøen) zieht es mich.


Künftig werde ich also von südlich des Polarkreises berichten, doch noch immer werde ich in Nordnorwegen sein. Zumindest bis Ende Oktober, bis Ragna wiederkommt.

Die Sjøgata. Nein, viele Touristen gibts hier nicht.
Ah doch: Stephanie.

Ragna – Wahl- oder Zwangs-Mosjøenerin?

In Mosjøen findet man alles, was man braucht...


Ragnas Wohnung, meine Ferienbleibe.


«Byen midt i Norge» (man achte auf die Kilometerangaben bis zum Nordkap und nach Lindesnes).



Blick auf den Fluss Vefsna.
Romantikhotel am Wasser.
Blick auf die Sjøgata.
Auf dem Weg auf den Hausberg.
Ein erstes «Gipfelfoto», falls wir es nicht bis oben schaffen.

Mosjøen von oben.

Gipfelfoto 1.
Gipfelfoto 2.
Blick zu den «Sieben Schwestern», den Churfirsten Norwegens.
Wildnis und susch gar nüüt.

Auch im Tal ist die Abendstimmung schön.


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