Samstag, 28. August 2010

Mosjøen - ein Bijou in der Wildnis



Nach unserer schönen Fahrt (siehe letzten Eintrag) trafen wir gegen Mittag wir in Mosjøen ein. Der «Stadt mitten in Norwegen», der «grössten Kleinstadt Norwegens», der zwangsläufigen Wahlheimat Ragnas. Einer Stadt, über die ich von vielen Leuten viele Meinungen gehört habe. Einer, der von dort kommt, beschrieb mir die Stadt als «wunderschön», mit einer «Landschaft wie auf den Lofoten». Die Berge höher, der Fjord imposanter, so sagte er. Ragna hingegen sagte, die Leute seien langweilig, die Stadt kein Bijou, das Leben dort trist. So war ich also gespannt, als wir mit Stephanies altem, treuen Opel um den Fjord kurvten, bis diese Stadt endlich auftauchte am Horizont.


Auch bei einer Stadt zählt der erste Eindruck und Mosjøen empfing mich mit sommerlichen Temperaturen und Sonnenschein. Wir fuhren als erstes in die Zahnklinik, in der Ragna arbeitet, holten den Schlüssel für ihre Wohnung und legten uns dort in den Garten. Stephanie in den Schatten unter einen Baum, ich aufs Liegebett in die Sonne. Endlich, endlich, so dachte ich, hat mich der Sommer gefunden. Rund 100 Kilometer südlich des Polarkreises genoss ich die wärmenden Strahlen. Ragna, so bin ich der Meinung, hat es in eine schöne Kleinstadt verschlagen, ihre Wohnung liegt etwas ausserhalb am Hang mit schöner Sicht. Es ist eine Einliegerwohnung, gebaut im Keller, wegen der Hanglage aber durchaus hell und vor allem hat sie einen Gartensitzplatz und einen Garten zur Mitbenutzung. Mir also gefiel es sofort, nicht nur wegen der Sauna im Badezimmer.


Wo liegt Brügge?
Zusammen mit Ragna und Stephanie schlenderte ich dann durch die Sjøgata, den alten Kern Mosjøens. Kleine Holzhäuschen erinnern daran, dass die Stadt eine Handelsstadt war. Sie sind durchaus schmuck, erinnerten mich an Brügge, wobei ich noch gar nie in Brügge war. (Brügge liegt in Belgien und der wunderbare Film «In Bruges» oder auf Deutsch «Brügge sehen und sterben» spielt dort). Wir setzten uns in die Sonne in ein Café und wäre da nicht der Hausberg, der Mitte August am späten Nachmittag seinen Schatten wirft auf die Stadt, wäre es fast zu perfekt gewesen.


Unter den strengen Augen einer Zahnärztin trank ich ein Coci, über meinen lädierten Zahn hatte ich einen Kaugummi geklebt, das funktionierte als Provisorium ganz gut. Es wurde aber noch am selben Abend von Ragna ersetzt. Selbst ist die Zahnärztin, dachte sie sich und mischte den Zement, den sie brauchte, um die Krone wieder anzukleben, selbst zusammen. Es schien mir leicht abenteuerlich («wart, ich muen mal läse, wie ich das mache muen», doch bis zum heutigen Tag hält die Krone, auch wenn ich Ragnas Tipp, ein Caramel zu kauen, nicht befolgt habe. Mit einem Halter-Caramel, welches ich von Gästen geschenkt bekam, fing das Unheil eben an Anfang August. Die Krone löste sich, liess sich aber von mir ohne Mühe wieder andrücken. Bis sie eben nicht mehr wollte (beim zweiten Mal wars eine simple Lindor-Kugel, welche die Krone aus der Fassung haute).


Als wären Sommer, Sonne, eine hübsche Kleinstadt und eine geflickte Krone nicht genug, krönten wir den Tag mit dem besten Nachtessen: Raclette. Ragna hatte noch Käse im Tiefkühler und so sassen wir also in ihrem Garten, assen Raclette und freuten uns des Lebens. Mit einem Umtrunk im verschlafenen Zentrum der grössten Kleinstadt Norwegens verabschiedeten wir Stephanie, die am nächsten Tag Richtung Schweden aufbrechen sollte.


Irrfahrt durch die grösste Kleinstadt
Am nächsten Tag schien noch immer die Sonne und ich schwang mich auf Ragnas Velo, um die Stadt zu entdecken. Als erstes verfuhr ich mich, das ist nichts Neues, wenn ich in Norwegen unmotorisiert unterwegs bin. Und da wurde mir die Stadt richtig sympathisch: Ein Kaff mit 10 000 Einwohnern (man merke, dies ist die dreifache Einwohnerzahl von Leknes!!), in welchem man sich mit dem Velo verfahren kann - das gefällt! So fuhr ich dem Fluss Vefsna entlang, über die eine Brücke hin, über die nächste zurück. Betrachtete die Sjøgata vom andern Flussufer aus und war doch so ein bisschen entzückt. So schön wie die Lofoten fand ich die Stadt nicht, hässlich allerdings auch nicht. 

Nachdem ich das Stadtzentrum doch wieder gefunden hatte, startete ich zu einer ausgiebigen Shoppingtour, die rund zwanzig Minuten dauerte (ich brauchte dringend kurze Hosen, wohnt Ragna ja am Hang, was mir gutes Velo-Training aber auch viel Schweiss bescherte).
Zudem wollte sie mit mir auf den Hausberg steigen. 818 Meter über Meer ist der Gipfel des Øyfjells. Wo der Weg durchführte, wusste meine Fremdenführerin nicht so genau, und ob wir den Gipfel wirklich erreichen, dessen waren wir uns auch nicht so sicher. Auch wenn ich es nicht richtig glauben wollte, so verwies Ragna mehrmals darauf, dass es in ihrer Stadt dunkel werde. So hatte ich das erste Mal seit ich im Norden war wieder eine Zeitlimite beim Wandern.


Im Schatten stiegen wir über Geröllfelder auf, in der Hoffnung, nach dem ersten Aufstieg den Weg zu finden. Das gelang uns wider Erwarten auch und schon bald standen wir in der Sonne. Wir genossen die Aussicht aufs Kaff, diskutierten, ob es nun schön sei oder nicht und marschierten brav Richtung Gipfel. Nach gut dreieinhalb Stunden Aufstieg erreichten wir den Steinhaufen, sozusagen das norwegische Gipfelkreuz, und schrieben uns stolz ins Gipfelbuch ein. Nach dem obligaten Gipfelfoto assen wir einen Apfel und Toblerone und wenn man so zuoberst auf dem Øyfjell steht, merkt man erst, dass die Stadt wirklich mitten in der Wildnis liegt. Für mich schien es wie ein Wanderparadies, doch als Ragna erzählte, dass in den umliegenden Wäldern und Bergen öfter mal Bären anzutreffen sind, verliess mich die Sehnsucht, tagelang mit dem Zelt über die Hügel zu wandern. Vielleicht werden es eher Tagestouren...


Obwohl die Sonne auf dem Gipfel noch immer schien, machten wir uns an den Abstieg. Zurück über Trampfelpfade, quer übers Geröllfeld und runter in den Birkenwald. Zurück am Fluss, wo Ragnas Auto stand, genossen wir die Abendstimmung. Und ich war überzeugt: In Mosjøen lässt es sich leben.


Wie das Leben dort wirklich ist, werde ich herausfinden: Es ist nämlich meine nächste Station in Norwegen. Ragna fährt in die Ferien und Sarah siedelt um, hütet die Wohnung. Von der Stadt «mitten in den Lofoten» (Leknes) in die Stadt «mitten in Norwegen» (Mosjøen) zieht es mich.


Künftig werde ich also von südlich des Polarkreises berichten, doch noch immer werde ich in Nordnorwegen sein. Zumindest bis Ende Oktober, bis Ragna wiederkommt.

Die Sjøgata. Nein, viele Touristen gibts hier nicht.
Ah doch: Stephanie.

Ragna – Wahl- oder Zwangs-Mosjøenerin?

In Mosjøen findet man alles, was man braucht...


Ragnas Wohnung, meine Ferienbleibe.


«Byen midt i Norge» (man achte auf die Kilometerangaben bis zum Nordkap und nach Lindesnes).



Blick auf den Fluss Vefsna.
Romantikhotel am Wasser.
Blick auf die Sjøgata.
Auf dem Weg auf den Hausberg.
Ein erstes «Gipfelfoto», falls wir es nicht bis oben schaffen.

Mosjøen von oben.

Gipfelfoto 1.
Gipfelfoto 2.
Blick zu den «Sieben Schwestern», den Churfirsten Norwegens.
Wildnis und susch gar nüüt.

Auch im Tal ist die Abendstimmung schön.


Freitag, 27. August 2010

Road Trip to Mosjøen



Was macht man, wenn man frühmorgens eine Krone verliert? Genau: Man ruft den Zahnarzt an und vereinbart einen Termin. Und was macht man, wenn man auf den Lofoten eine Krone verliert? Man fährt 500 Kilometer nach Süden, um den Schaden reparieren zu lassen. Optimal ist, wenn sich eine Freundin gerade auf dem Nachhauseweg nach Deutschland befindet und man sich einfach nur ins Auto setzen kann. So geschehen Mitte August.

Stephanie, eine Norddeutsche, mit der ich mich diesen Sommer angefreundet habe, war gerade dabei, ihre Siebensachen zu packen und ihr Auto zu beladen, als ich sie anrief. Und kaum hatte ich ihr gesagt, dass ich eine Schweizer Zahnärztin, die in Mosjøen, einer Kleinstadt rund 500 Kilometer südlich der Lofoten, anrufen werde, um zu fragen, ob sie mir helfen könne, sagte Stephanie: Genau! Fahr mit mir nach Mosjøen!

Zwar führte ihre angedachte Reiseroute nicht dort vorbei, doch die Idee, mit mir 10 oder 12 Stunden im Auto zu sitzen und durch die nordnorwegische Landschaft zu donnern, war anscheinend so reizvoll, dass sie meinte, ich solle auf jeden Fall mit ihr gen Süden fahren, Zahnarzt hin oder her.

Ragna, die Schweizer Zahnärztin, hatte ich kennen gelernt, als sie zusammen mit einer Freundin im Juli über die Lofoten reiste und bei mir übernachtete. Ein Besuch bei ihr war für Ende August geplant, doch nun sollte alles anders kommen. Meine Idee, sie zu besuchen, fand sie nach wie vor gut. Und sie war auch sofort bereit, meine Krone provisorisch zu flicken.

Hit the road!
So packte nicht nur Stephanie an diesem Montag, sondern auch ich. Krone, Kamera und gute Musik, das waren die wichtigsten Reiseutensilien. Nachts um 9 fuhren wir in Moskenes auf die Fähre. Ich überdreht, freudig unseren road trip vor Augen, Stephanie leicht melancholisch, war es für sie doch der Abschied von ihren geliebten Lofoten.
Die Fähre war so pünktlich, wie norwegische Verkehrsmittel öfter sind. Nämlich gar nicht. So wurde uns ein Umtrunk in Bodø verwehrt und wir beschlossen angesichts der extrem zauberhaften Stimmung am Nachthimmel weiterzufahren. Port O'Brien sangen unser Lied und wir fuhren in Bodø an Land. Es war die erste einigermassen dunkle Nacht, seit ich in Norwegen war. Wir ignorierten Bodø so gut es ging, wunderten uns darüber, wie gross eine Stadt sein kann und fühlten uns erst wieder wie «im richtigen Norwegen», als die Gegend einsamer wurde. Im Nebel stand ein Elch neben der Strasse, Stephanie aber war so flott unterwegs, dass wir das Beweisfoto schuldig bleiben. Kurvenreich führte die Strasse der Küste entlang. Dort, wo wir in etwa Bodø vermuteten, leuchtete noch immer ein heller Streifen am Horizont. Die Nacht war trotz Ende der Mitternachtssonne noch hell genug, dass wir sehen konnten, in was für einer zauberhaften Landschaft wir uns bewegten.
Schon immer, so sagte Stephanie, wollte sie diese Strasse nach Süden fahren. Nicht die Hauptstrasse, die E6, nahmen wir, sondern die touristische Strecke, die uns an vielen schönen Flecken Norwegen vorbeiführen sollte. Vorbei an Seen, in denen sich die nächtlichen Berge spiegelten, vorbei an Siedlungen, die scheinbar irgendwo im Nirgendwo und ohne ersichtlichen Grund gebaut waren, vorbei am Svartisen-Gletscher, der ins Meer kalbt, fuhren wir durch unzählige Tunnels, über viele Brücken und kaum ein Auto begegnete uns.

Dank dieser Routenwahl durften wir insgesamt drei Mal auf eine Fähre fahren zwischen Bodø und Mosjøen. Morgens um vier strandeten wir beim ersten Fähranleger. Um 5.40 Uhr sollte der Fährmann uns über das Gewässer bringen und wir nutzten die Zeit, um im Wartehäuschen ein bisschen zu schlafen. Die Sonne lachte schon lange wieder über die Berge, als die Fähre pünktlich einlief. 10 Minuten dauerte die Überfahrt, wir waren die einzigen Passagiere und donnerten fröhlich weiter. Die Stimmung war gut, die Landschaft immer wieder anders, schön, Norwegen halt, und doch nicht so magisch wie die Lofoten, da waren wir uns schnell und für immer einig. Ich konnte, wollte nicht schlafen, zu sehr freute ich mich über diese Fahrt. Endlich etwas Abwechslung nach drei Monaten E10 von Å nach Svolvær und zurück.

Von Bratland nach Aas

Auf der zweiten Fähre, die um halb sieben, und nicht, wie Stephanie öfters wiederholte, um 8 fuhr, waren bereits mehr Leute anzutreffen. Nur die Lofotingerinnen Stephanie und Sarah waren noch nicht ganz wach und schlurften beim ersten Halt runter aufs Autodeck um festzustellen, dass dort, wo die Fähre gerade war, wir gar nicht von Bord wollten. Stephanies scharfsinniger Kommentar: «Wir sind auf der falschen Fähre. Ich hab ja gesagt, unsere Fähre fährt um 8!!»
Ganz so schlimm wars nicht, wir mussten einfach den zweiten und letzten Halt abwarten und schon konnten wir weiter über die Landstrasse gen Süden donnern. Unsere Kommentare, was die vorbeiziehende Landschaft betraf, reichten von «schön hier» über «ganz zauberhaft» bis zu «an die Lofoten kommts nicht ran». Und immer dieselbe Frage: «Warum gibt es hier Besiedelung?»

Kurz bevor Stephanie in den Schlaf fiel, wechselten wir die Plätze und ich übernahm das rote Fluggefährt. Stephanie nickte irgendwann weg, wachte auch nicht auf, als ich auf der Passhöhe für einen Fotistopp hielt und auf der dritten Fähre meinte sie nur: «Ich bleibe im Auto und schlafe.» Ja gut, dachte ich, ging aufs Oberdeck und genoss den warmen(!!) Wind. Der Sommer hatte mich gefunden. Endlich. Die gute Laune wollte mich nicht mehr verlassen. Wir waren auch dieses Mal auf der richtigen Fähre und schon bald wieder war Land in Sicht. Ich hatte so orientierungsmässig schon lange keine Ahnung mehr, wo ich eigentlich bin. Doch die Musik stimmte noch immer, das Wetter auch, also legte ich den ersten Gang ein, und fuhr frohen Gemüts von der Fähre.

Bald schon näherten wir uns dem Fjord, an welchem auch unser Ziel, Mosjøen, liegt. Eine Tafel mit der Aufschrift «store elgfare» warnte uns vor den grossen staksigen Tieren, die zu dieser Tageszeit gar keine Gefahr darstellten, weil nicht mal ansatzweise sichtbar. Die Strasse war einmal mehr schmal und kurvenreich. Ich wünschte mir meinen Töff unter den Hintern, zu schön wäre es, mit meiner Bayrischen Gummikuh dem Fjord entlang zu flitzen. Die Sonne glitzerte auf dem Wasser und wir näherten uns unweigerlich dem Ziel unserer Reise. Kurz vor Mittag tauchte dann das Ortsschild auf. Wir fuhren durch das Zentrum der «grössten Kleinstadt Norwegens» zu Ragnas Zahnklinik. Und dann, ja dann legten wir uns als erstes in ihren Garten. Stephanie unter einen Baum in den Schatten, ich auf dem Liegebett in die Sonne. Der Sommer hatte mich wirklich gefunden. In Mosjøen. Wer hätte das gedacht.


Lesen Sie morgen die Fortsetzung: Zahnarzttermin, Stadtspaziergang und Eintrag ins Gipfelbuch


Und hier einige Eindrücke:


Abschied von den Lofoten: Die Wolken brennen über Moskenes.




Unsere Reiseroute: Fähre nach Bodø, dann die Küstenstrasse nach Mosjøen.


Wunderschöne nächtliche Stimmung...


...


Die Fähre fährt öfter als man denkt. Auch um 8 Uhr.



Unser treuer Opel morgens um 4 Uhr. Ja, wir waren dann die einzigen Passagiere auf der ersten Fähre.



Ein kurzes Nickerchen im Wartsaal...



...und schon kommt ein Schiff gefahren.



Um 5:50 Uhr.



Die Sonne scheint schon wieder über den Bergen.


Zweite Fähre. Auch nicht um 8 Uhr, sondern um 6:20 Uhr.



Nickerchen 2.



Norwegische Strassen: Hauptsache schmal.



Besiedelung.


Und noch mehr Besiedelung.



Die Aussicht, die Stephanie verschlafen hat. Ja, der Schatten bin ich.

Genau: Verschlafen.

Ein Bijou: Mosjøen.



Dienstag, 27. Juli 2010

Sarah entdeckt das Meer

Seit 10 Wochen lebe ich nun auf der Insel. Umspült vom Wasser des Vestfjords und des atlantischen Ozeans. Kein Wunder also, dass ich früher oder später auf einem Fischerboot landete. Es war nur ein kleines Fischerboot mit einem Aussenbordermotor. Die besten Jahre hatte es sicher schon hinter sich, zumindest die ästhetisch besten. Doch tapfer fuhr es langsam über den Fjord. Unter dem Kiel nicht nur eine Handbreit, sondern klares Wasser des Skjelfords. Muschelfjord zu Deutsch und wenn man auf den weissen Sanduntergrund schaut und die vielen Muscheln und Seesterne sieht, ist auch klar, warum.

Unser Ziel: Fischen. Die Zutaten: Silch mit Haken, ein Eimer, Schokolade für die Nerven und die gute Laune und viel Zeit. Mit dabei: Stephanie, Peter und ich. Stephanie und Peter sind zwei deutsche Reiseleiter-Kollegen, wobei Peter seit drei Jahren ein Haus auf den Lofoten besitzt, welches er aber nur im Sommer bewohnt. Ihm gehört also auch das kleine Boot und er wusste auch, wo sich denn die guten Fanggründe befanden. Mit der Sicherheit eines Kapitäns steuerte er die erste Bucht an, wo wir unser Glück versuchen wollten. Ich erhielt die ersten Instruktionen: Den Silch mit den Haken von der Rolle lassen bis der Haken auf dem Grund ist, dann wieder etwa einen Meter hochziehen und warten. Den Silch immer leicht bewegen, also hochziehen und wieder runterlassen. Wenns zappelt: Ziehen!

Keine fünf Minuten vergingen, bis Peter den ersten Fisch an Land zog. Für mich war die Phase der Akklimatisation zu kurz. Peter nahm den Dorsch vom Haken und warf ihn in den Eimer. Stephanie ergriff das Messer und schnitt dem Tier die Kehle durch. Der Fisch zappelte aber weiter und schnappte nach Luft. Kein schönes Bild. Zwar war die Hauptschlagader durchgetrennt, doch wie ein Huhn ohne Kopf wollte der Fisch noch keine Ruhe geben. Das ganze ist etwas gewöhnungsbedürftig, doch da schon bald der nächste Fisch am Haken hing, ging das schnell mit der Gewöhnung.

Bald auch schon merkte ich, wie sich etwas an meinem Haken in der Tiefe des Fjords verbissen hatte. Mir wurde leicht mulmig, doch ich holte den Silch ein. Währenddessen warnte ich meine erfahrenen Fischer schon, dass sie den Fisch vom Haken nehmen und töten mussten. Und da zappelte er auch schon: Ein schöner grosser Dorsch! Ihm widerfuhr dasselbe Prozedere wie Peters Fischen. Und da lag er: Mein erster selbst gefangener Fisch. Ich konnte es noch nicht recht fassen, fischte aber munter weiter. Schon nach kurzer Zeit hatte ich wieder einen am Haken. Wir hatten also eine gute Stelle gefunden, der Eimer füllte sich schnell und das Abendessen war gesichert.

Immer wieder mal hing also solch ein Dorsch an der Angel, Stephanie und Peter haben auch Makrelen erwischt. Mit der Zeit erträgt man das Gezappel der eigentlich getöteten Fische auch besser und die Lust, die Tiere bald auf den Grill zu werfen, wächst.
So fuhren wir denn auch zurück, Peter nahm unterwegs die Fische aus, was uns die Möwen als Begleiter sicherte. Ein Seeadler zeigte sich auch zwei Mal, doch anscheinend waren ihm unsere Fische nicht gut genug, nah ran kam er leider nicht.

Zuhause in Peters Haus warf der Mann den Grill an, die Frauen putzten die Fische und kochten. Kartoffeln mit frischen Makrelen vom Grill war das Menü, geschmeckt hat es vorzüglich!
Am nächsten Tag ging ich auf eine Wanderung und ass selbst gefischten Dorsch vom Lagerfeuer - unheimlich gut! Doch das ist eine andere Geschichte, Bilder und Details folgen ;-)

Montag, 12. Juli 2010

Oranje verblasst

Heute ist ein trauriger Tag. Holland hat gegen Spanien verloren. WM-Final 2010, Südafrika. 11 Oranjes gegen 11 Blaue, die eigentlich Rot sein sollten. Es stand nicht ganz so kritisch um meine Nerven wie damals, am 29. Juni 2008, als Spanien gegen Deutschland spielte. Damals unterstützte ich die Roten. Nicht aus Überzeugung, sondern aus Verzweiflung. Holland war damals zu früh gescheitert. Deutschland, naja, muss ich ja nicht erklären, den Nachbarn aus dem grossen Kanton kann ich keinen Sieg gönnen. Also Spanien.
Lange gings, bis Fernando Torres mich erlöste. Zu spät wars für meine Nerven, respektive meinen Sauerstoffhaushalt. Nur der leere Sack der Mikrowellen-Popkorn half gegen das Hyperventilieren.

Lebhaft ist mir das Spiel noch in Erinnerung. Und ich scheute mich vor einer Wiederholung. Zwar standen mit Holland und Spanien zwei Mannschaften auf dem Feld, welchen ich beiden den WM-Titel gönnte. Doch mein Herz schlug klar für die Käsköppe. Ich kleidete mich so orange wie nur möglich im Exil, doch es half alles nichts. Robben bewegte sich agil und sexy wie immer, schien aber keine Nerven zu haben. Sneijder, klein und flink, wollte heute nicht aus der Ferne einen Ball ins Netz donnern. Oder wollte und machte es nicht. Und ansonsten? Keiner da. Nur Stekelenburg grinste nach einer Glanzparade. Naja. Mit Grinsen, schön aussehen und grazilen Bewegungen wird man leider nicht Weltmeister. Ich dachte, die Oranjes hätten das begriffen. In allen Spielen in Seudafrika haben sie brav das Runde ins Eckige gemacht. Aber nicht heute.

Das Spiel ging in die Verlängerung. Meine Nerven. Und dann, ja dann kam Torres. Und er spielte wie immer an diesem Turnier: nicht überzeugend. Gut für mich, ich kam in keinen Gewissenskonflikt. Wobei, wäre ja auch eher ein Schönheitskonflikt gewesen. Ich hoffte, dass nicht er das Siegestor schiessen wird. Und dann wars Iniesta. Tammi. Warum? Robben verstand die Welt nicht mehr, ich sah umso klarer: 4 Minuten werden nicht reichen für den Ausgleich. Der Schiedsrichter liess auch nicht 5 Minuten nachspielen wie damals, am 16. Juni, als Spanien gegen die Schweiz spielte, die Schweiz 1:0 führte und der englische Unparteiische uns quälte. Aber schon da wusste ich, dass Spanien in eine Schmiergeldaffäre verwickelt ist und auch heute glaube ich, dass es so ist. Vielleicht ist es auch ein Wettskandal, so wie Robben Chancen vergab...

Die Blauen, die plötzlich doch die Roten waren, feierten, Casillas weinte wie ein Goof. Torres lag plötzlich nicht mehr am Boden, sondern konnte hüpfen und jubeln. Die Oranjes waren irgendwie nirgends mehr. Silber. Tammi. Warum? Ich mag Spanien den Sieg ja gönnen. Aber Holland hat nicht verdient zu verlieren. Nein, das Spiel war nicht schön, ja, sie haben zu viele von diesen komischen gelben Kartons gesammelt. Und der Mord-Tritt von De Jong, darüber müssen wir gar nicht diskutieren.

Beim Interview küsste Casillas seine Freundin, Journalistin Sara, vor laufender Kamera, und heulte gleichzeitig. Naja, professionell ist sowas ja schon lange nicht mehr. Also nicht der Kuss, das ganze Interview-Getue. Aber egal. In Spanien gelten andere Regeln als im Zürcher Oberland. Vielleicht auch ganz gut so.

Das Positive an diesem Abend? Ich weiss nicht. Sicher nicht die Kommentare von Mitluegerinnen, die etwas von Gool schrieen, wenn der Ball von aussen an das Netz flog. Auch nicht die spontane Abmachung mit meinem Fussball-Freund, bei einem Sieg Hollands nach Amsterdam zu fahren und bei einem Sieg Spaniens nach Barcelona inklusive Besuch eines Tschuttimatsches. Will ich ins Land des Weltmeisters? Eigentlich nein. Oder nur, wenn auch mindestens ein Holländer auf dem Platz steht. Barcelona - Bayern? Oder Inter? Der Spielplan wird mir die Entscheidung abnehmen.

Ein kleiner Trost ist der Schweizer Stolz. Wohl noch nie wurde die Schweiz als Fussballnation in einem WM-Finale so oft genannt. Ja, wir haben die Spanier geschlagen. Mit einem Abseitstor. Mit Glück. Wie genau, wissen wir eigentlich selber nicht. Aber es war gut, um die Spanioggel aufzurütteln und sie so ins Finale zu treiben. Mit der furia roja kann ich leben. Auch wenn ich immer noch hoffe, bange, und vor allem daran glaube, dass ich den Tag erleben werde, an dem Oranje Fussballweltmeister wird. Hup Holland!!!

Ps: Das schöne an Amsterdam ist ja, dass man keinen speziellen Grund braucht, um in die Grachten-Stadt zu fahren. Holland, ich komme!

Freitag, 9. Juli 2010

Moschtbröckli, Chäs und Schwyzertütsch, bitte!

Norwegen? Schweiz? Wo bin ich?
So ähnlich wie die beiden Länder sind, so gibt es doch einige gravierende Unterschiede. Das Thema also meines heutigen Blogeintrages.

Ich fühlte mich in Norwegen schon immer schnell zu Hause. Das war nicht anders, als ich dieses Jahr hierher kam im Wissen, dass ich die nächsten Monate hier verbringen werde.
Der Lebensstandard ist ähnlich hoch wie in der Schweiz, das Preisniveau dementsprechend auch. Wenn sich meine deutsche Mitbewohnerin über die hohen Fleischpreise im Supermarkt wundert, reibe ich mir die Augen, weil Fleisch so günstig ist. Zum Vergleich: Ein Kilo Schweinefleisch (vom Hals) kostet rund 11 Franken. Natürlich gibt es auch teureres Fleisch, doch solange wir beim Schweinefleisch bleiben, ist es etwa die Hälfte des Preises von Schweizer Fleisch. Abgepackt aus der Migros oder dem Coop wohlgemerkt. Rindfleisch ist rarer und teurer, für ein Kilo Entrecôte bezahlt man rund 40 bis 50 Franken.

Wesentlich günstiger ist natürlich Fisch. Von der Fischerei leben auch heutzutage noch die meisten Lofotinger (so die offizielle Bezeichnung der Inselbewohner). "Iss Fisch und kaufe norwegischen!" war einer der ersten Ratschläge eines Einheimischen. Lachs ist für rund 20 Franken pro Kilo zu haben, geräuchert und von sehr guter Qualität.
Nach wie vor esse ich aber lieber und öfter Fleisch als Fisch. Es ist auch kaum zu glauben, dass es wirklich noch genügend Dorsch im Meer haben soll, wenn man bedenkt, dass nur hier auf den Lofoten dieses Jahr 31 000 Tonnen(!!!) Dorsch gefischt wurden.

Doch nicht nur die Preise sind wie zu Hause, sondern auch die Menschen. Ich hatte mit meiner Einschätzung vom Tösstal Norwegens nicht so Unrecht. Zwar sind viele Leute hier aufgeschlossener als viele Schweizer, was wohl schon ein bisschen mit der Weite des Meeres zu tun hat, doch in vielen Belangen erinnern sie mich an die Heimat. Sie sind geradlinig und direkt, akzeptieren zwar Fremde, doch bis man wirklich dazu gehört, braucht es wohl viel.
Ich verstehe mich mit den Einheimischen bis jetzt sehr gut. Sie sind mir sofort gut gesinnt, wenn ich erzähle, dass ich ihr Land liebe und sie schätzen meine -  mitunter kläglichen - Versuche, ihre Sprache zu imitieren.

M-o-s-c-h-t-b-r-ö-c-k-l-i
Bis jetzt vermisse ich nicht viel aus der Heimat. Doch gestern hatte ich eine Deutsche an Bord, deren Schwester in Wald (AR!!) lebt. Dann meinte sie nur: Ich liebe Moschtbröckli. Ich fiel fast in Ohnmacht. Sofort hatte ich den Geschmack im Mund vom zarten Trockenfleisch. Den salzigen Geschmack, der nicht mehr weichen will, wenn man das Fleisch auf der Zunge zergehen lässt. Und seitdem denke ich jede Minute daran. In der Hölle schmoren soll diese Berlinerin, die wagte, dieses Wort auszusprechen! Ich lebe gut ohne Schoggi (wobei man hier auch Toblerone kaufen kann, was meine Nahrung während den Schweiz-Spielen war) und auch ohne Cervelats und Bratwürste. Aber Moschtbröckli. Heieieieieiei. Ähnlich schlimm ist es nur mich Chäs. Die Norweger haben ja keine Ahnung, wie Käse schmeckt. Ansonsten würden sie diese weisslichen Klötze milchigen Geschmacks nicht als Käse verkaufen. In einigen Supermärkten gibt es auch französischen Weichkäse (zum unglaublichen Schnäppchenpreis von 50 CHF/Kilo!!!), doch einfach nur Chäs, das gibt es nicht.
Was mir vorschwebt? Das ist ja wohl klar: Sternenberger Brie, Sternenberger Mutschli, Vacherin Mont d'Or, Senneflade, Arenenberger, Girenbader Hobelchäs, St. Paulin (weil bitz Normales auch sein muss), und natürlich wärs auch mal wieder Zeit für ein Raclette mit Sternenberger geräuchtert, mit Chili, Paprika und Nature.

Die Botschaft ist ja nun wohl klar: Jede(r), die/der mich besuchen kommt, muss ein bisschen Käse und Moschtbröckli schmuggeln. So schwer kann das ja nicht sein!

Herzlichen Dank schon mal im Voraus. Ich haue nun Spiegeleier in die Pfanne und träume von Älpler-Maccaroni.

Schwiiz, nöd Dütschland!
Was ich aber am schmerzlichsten vermisse, ist, Mundart zu sprechen! Immer dieses gehauchte Deutsch, das ist ja kein Leben! Unterdessen unterhalte ich mich auch mit den Deutschen lieber auf Englisch. Und ich entwickle bedenkliche Sympathien für Schweizer Touristen aus allen Kantonen. feng, bitz, chuum, mängisch, det, hoi, xundheit, mässi. Schöne Worte, die ich nicht mehr brauchen kann. Fluchen und Fussball kommentieren tu ich nach wie vor auf Mundart, was auf meine Umgebung mitunter unterhaltsam wirkt.

So, nun aber sind definitiv die Spiegeleier an der Reihe.

En guete!

Samstag, 19. Juni 2010

Fragen über Fragen

Wird ein Bürgermeister in Norwegen gewählt oder eingesetzt? Warum leben hier Leute? Waren die Wikinger eine eigene Etnie? Wie teuer ist es, hier ein Haus zu bauen? Gehören die Schafe dem Staat oder den Bauern? Wie funktioniert die Postversorgung hier? Wird das Abwasser gereinigt oder direkt ins Meer geleitet? Haben die Norweger eine höhere Lebenserwartung als ein Mitteleuropäer? Warum ist Norwegen nicht in der EU? Wie hoch ist das Durchschnittseinkommen? Was hat Sie hierher verschlagen? Müssen die Kinder hier in den Kindergarten und zur Schule? Wirkt es sich auf die Stabilität eines Hauses aus, ob die Fassadenbretter quer oder längs verlaufen? Haben Sie in der Schweiz Deutsch gelernt? Warum hat es keine Leute auf der Strasse? Warum haben sie hier nirgends Gemüsegärten? Sind die kleinen Häuschen am Meer Saunas? Darf man ein Haus bauen, wo man will oder muss man die Landparzelle kaufen? Waren die Deutschen hier im Zweiten Weltkrieg? Sind Schafe hier heilig? Sehen wir heute einen Seeadler? Ist das Wetter heute normal? Warum haben so viele Leute ein Trampolin im Garten? Hat Norwegen eine Lösung parat, wenn schon bald kein Erdöl mehr gefördert werden kann? Braucht man als Deutscher ein Visum, um nach Norwegen zu reisen?

Ohne Kommentar... ;-)

Montag, 24. Mai 2010

Dance The Swing!

Wenn ein Mann anständig tanzen will, sollte er nicht mich als seine Partnerin aussuchen. Ich habe das den Norwegern zu erklären versucht, doch es nützte nix. «Selber schuld», dachte ich und stürzte mich auf die Tanzfläche. Nja, stürzen ist etwas übertrieben. Liess mich wohl eher mitreissen.
Ich vergleiche die Lofoten ja gerne mit dem Tösstal. Vor allem, was die Menschen betrifft. In vielen Aspekten tue ich den Norwegern damit unrecht. Aber getanzt, das kann ich nun sagen, wird hier genauso wie im Tösstal. Disco auf dem Lande war gestern angesagt.

In Henningsvær, einem Fischerdorf 65 Kilometer von hier, fand das «Codstock-Festival» statt. Der Name natürlich in Anlehnung an das legendäre Woodstock. «Cod» ist das englische Wort für Kabeljau und so lautete das Festivalmotto «3 Days of Fisch and Music». Das konnten wir uns keinesfalls entgehen lassen und so fuhren wir gestern Abend dorthin. Wir suchten uns ein Konzert aus, welches um 22.30h begann (also die erste Band, die zweite zwei Stunden später, aber wer denkt schon an morgen, solange die Sonne scheint...).

Die Festhalle hatte eine ordentliche Grösse, die Norweger waren bereits gut gelaunt. Man merke: Bier wird im Ausgang konsumiert, egal wie viel es kostet. Und zwar in rauen Mengen. So ein durchschnittlicher Norweger ist ja auch 1,85m gross, so muss er auch viel trinken. Also in etwa so wurde es mir erklärt. In der Ecke sass einer unserer Busfahrer mit seiner Frau, und er begrüsste uns sogleich herzlich. Die Band spielte bereits, die Zuhörer standen und sassen und schunkelten. Der Raum vor der Bühne war aber menschenleer. Ich führte dies zuerst auf die Scheu der einheimischen Bevölkerung zurück. Doch falsch gedacht. Komplett falsch. Schon beim zweiten Lied zeigte sich, dass nur die Tanzfläche freigehalten wurde. Und so hüpfte jede und jeder, die oder der die Energie nicht mehr zügeln konnte, wild zum Irish Folk der norwegischen Band herum.

Sarah staunte, lachte und genoss. Auch unser Chauffeur stürzte sich in die Menge. Er schleuderte seine Frau herum und ich war mir nicht sicher, ob er zu betrunken oder zu nüchtern war, um den Takt zu finden. Verschwitzt und grinsend kam er auf uns zu und seine Frau vermittelte ihn kurzerhand uns als Tanzpartner weiter. «Do you wanna dance?», fragte Winnie, drückte mir ihre Tasche und ihre Jacke (ahja: mit der Garderobe habens sies nicht so, die Norweger, das gibts also nix anzustehen, zu treffen, zu umarmen....) in die Hand und verschwand.

Winnie lernte eine Lektion, die mir für etwas später in dieser Nacht vorbehalten war: Der nordnorwegische Ausgangstanz ist eigenwillig, man muss ihn können und ein «I can't dance» interessiert einen Norweger nicht. So war es nun sie, die von Leif-Arne herumgewirbelt wurde. Ich beschloss, die Szenerie fotografisch zu dokumentieren. Dies war der Steilpass für meinen Nachbarn: «Oh, can you send me the picture?» Äh, jawoll, hallo erstmal, würd ich da sagen. Mein Nachbar war ein Norweger wie aus dem Bilderbuch: Gross, blond, blaue Augen. Sein Vater ist pensionierter Polizist und arbeitet nun (ach wie überraschend) als Buschauffeur für Touristen, sein Grossvater aber, ja, der war Fischer (und noch mehr Verwunderung machte sich breit!). Aufgewachsen ist er in ebendiesem Fischerdorf Henningsvær. Unterdessen wohnt er aber in Harstad (sprich: Harrschschta), lässt sich das Codstock in der alten Heimat aber nicht entgehen. Im Englischunterricht hatte er entweder ganz gefehlt, Fische gezählt oder die Strahlen der Mitternachtssonne. Anwesend kann er kaum gewesen sein. Ich versprach, ihm die Fotis zu schicken und wir habens wirklich geschafft, im grellen Licht der Mitternachtssonne die E-Mail-Adressen auszutauschen.

Später an diesem Abend wurde ich desöfteren zu seiner Bierdosen-Halterin, habe seinen Cousin und dessen Freundin «Oh you know, he is sooo kind! Really! I am serious!! He is soooo kind!!! Maybe we will meet now more often» kennen gelernt, und mutierte dann eben zu seiner unfreiwilligen Tanzpartnerin. Er schlug alle meine Warnungen in den Wind. Doch schnell bekam ich zu hören «If you want to live in Nothern Norway you have to learn to dance swing.» Nun ist aber «Swing» ein weiter Begriff dafür, was die Norweger da tanzen. In meiner umfassenden Feldstudie mit zwei Tänzern (der Schofför bot mich später auch auf und da kann frau ja nicht nein sagen - das gespielte Selbstvertrauen, ja, das steht mir halt immer wieder im Weg!) fand ich heraus, dass alle nur dieselben vier Figuren kennen, niemand so genau weiss, was die Füsse eigentlich machen sollen aber wehe, frau dreht sich in der falschen Sekunde in die falsche Richtung! Naja, es könnte ja schon auch bitz ein Führungsproblem gewesen sein, doch sowas lässt mann in solch einer Situation nicht gelten.

Auf der Bühne standen unterdessen nicht mehr sechs Norweger, sondern vier Engländer. Der Tanz blieb aber derselbe. Wir wollen ja mal nicht übertreiben, ikke sant! (ikke sant heisst soviel wie «nicht wahr» und die Norweger, oder vor allem: die betrunkenen Norweger brauchen den Ausspruch inflationär, etwa so, wie einige Schweizer «oder»).

Mittlerweile war dann doch die Stunde schon fortgeschritten, der Promillegehalt im Blut der meisten Männer erheblich gestiegen, das Englisch wurde mit jedem Bier verständlicher und «ikke sant» kann man in dieser Phase des Abends auch mitten im Satz brauchen. Winnie und ich verabschiedeten uns also, schliesslich lagen noch 65 Kilometer E10 vor uns, die wir leider nicht im Schein der Mitternachtssonne, sondern im Grau der hellen Nacht in Angriff nahmen. Die E10 ist die grösste, also breiteste Strasse der Lofoten, kurvenreich wie eine Schweizer Passstrasse und als Sturzzone sind die Gräben links und rechts vorgesehen. Für betrunkene Autofahrer (und Touristen) also nicht geeignet. Winnie und ich fuhren diese Strecke seit unserer Ankunft aber täglich, meist jedoch im Bus, kennen doch aber langsam die Kurven und tuckerten sicher gen Gravdal.

Doch es ist erstaunlich, wie viele Leute in dieser Pfingstnacht in solch einer einsamen Gegend unterwegs sind. Nicht alle waren so nüchtern wie ich und einige verstanden unter dem Begriff «füdli schwänke» nicht unkontrolliertes Rumgehopse auf der Tanzfläche: Sie standen am Strassenrand, hielten ihr bluttes füdli in den kalten Nachtwind und liessen die Aktion von ihren Freunden auf den Chip der Digitalkamera brennen. Was genau sie für eine Reaktion erwarteten, weiss ich leider nicht. Ich weiss nur, dass es um einiges amüsanter ist, sich von einem norwegischen Schofför und Polizistensohn auf der Tanzfläche herumwirbeln zu lassen, als irgendwo in der kalten Schweiz zu planschen (jaa, das ist nun mal wieder ein Insider für einige Freunde, das muss man nicht verstehen...)

Den Busfahrer werde ich heute wiedersehen, schliesslich müssen wir ja auch in Norwegen arbeiten (anders kann man sich nicht mal als reiche Schweizerin das Leben hier leisten), der Polizistensohn hat mich angefleht ihn im Gesichterbuch zu suchen. Schliesslich will er mit mir an die Pferderennen in Leknes, einen Ausritt in Harstad machen und Fische zählen. (ok, Letzteres nicht und auf die Pferde kam er einfach so, und schwafelte dann was davon, dass er jemand kenne mit Pferden, der aber nur junge Pferde habe, die ein bisschen wild seien. Als er von meinen doch unterdessen 17 Jahren Reiterfahrung (tammi, bin ich alt!!!) hörte, erblasste er zuerst und war dann doch wieder beruhigt.) Wiedersehen also auf unbestimmt verschoben.

Ich halte mich nach wie vor an meinen Konfirmationsspruch «Prüfe alles und behalte das Gute» und so muss ich ja nicht den erstbesten Norweger schnappen, ikke sant!

Samstag, 22. Mai 2010

Umzug und erste Tour

Seit einigen Tagen wohne ich nicht mehr in Mortsund, sondern in Gravdal. Winnie und ich teilen uns hier eine 3,5-Zimmer-Wohnung. Ich finde das ganz schön komfortabel für drei Monate...
Die Vermieter haben die Wohnung vor unserem Einzug noch neu gestrichen und etwas renoviert. So siehts nun auch aus: handglismet. Aber das ist ja nicht so tragisch. Wir haben hier alles, was wir brauchen, sogar eine Waschmaschine steht im Bad.

Ihr wisst ja, dass ich als Reiseleiterin weisse Blusen tragen soll. Und so haben wir hier natürlich auch eine Glett-Station eingerichtet. Ich habe dann vor einigen Tagen begonnen, die von der Reise im Rucksack vollkommen aus der Form gekommenen Blusen zu bügeln. Zwei Blusen lang gings gut, doch dann verstellte sich das Rad am Glettise auf unerklärliche Weise von Synthetik auf Leinen. Ich geb ja zu, ich hätte die ersten Anzeichen (Kleben der Bluse am Bügelbrett) nicht ignorieren dürfen. Doch es war schnell zu spät und eins meiner Prachtstücke von der Shopping-Tour in Biel war verbrannt. Also verschmüürzelet. Ihr nächster Gang führte in den Abfallsack, ein tristes, viel zu kurzes Leben ging zu Ende.

Ich wertete das Malheur aber nicht als schlechtes Omen, schliesslich stand am Donnerstag meine erste Tour auf dem Programm. Es war nicht eine Hurtigruten-Tour, sondern ein Ausflug mit Passagieren eines Kreuzfahrtschiffes. Winnie und ich sassen noch gemütlich in der Stube, als wir im Hafen die MS Funchal einlaufen sahen. Es ist eines der kleineren Kreuzfahrtschiffe, die hier in Leknes anlegen. Wir schauten dem Lotsen zu, wie er an Bord ging und das Schiff sicher zur Anlegestelle leitete. Unsere Wohnlage ist wahrlich sehr privilegiert: Wenn die Schiffe einlaufen, müssen wir uns noch lange nicht beeilen und wir müssen auch nicht ewig am Hafen warten, wenn ein Schiff Verspätung hat.

Die Passagiere wurden auf fünf Busse aufgeteilt und wir fuhren los Richtung Flakstad. Flakstad liegt auf unserer Nachbarinsel Flakstadøy und hat als Touristenattraktion eine alte Holzkirche zu bieten. Auf der Fahrt dahin erzählte ich den Gästen etwas über die Landschaft, die Leute, die Tiere und was mir sonst noch so in den Sinn kam. Von Flakstad ging es weiter nach Nusfjord, einem Fischerdorf, das seit 1975 zum Unesco-Weltkulturerbe gehört. Es ist ein «lebendiges Museum», wobei «lebendig» ein grosses Wort ist. Leben in die Bude, respektive ins Dorf, bringen einzig und alleine die Touristen. Zwar wohnen 28 Leute das ganze Jahr in Nusfjord, doch auch sie warten alle nur auf die Touristen.
In Nusfjord gabs eine Dia-Show für unsere Gäste und Tee und Waffeln für uns.
Auf der Rückfahrt nach Leknes plauderte ich munter weiter über die Inseln und beantwortete Fragen wie «Warum ist der Wasserstand so niedrig? Ist das wegen dem Nebel?» «Äh, nein, wegen der Ebbe», war dann meine Antwort.
Nach drei Stunden kamen wir wieder im Hafen an. Ich glaube, meine erste Tour ging ganz gut, immerhin bekam ich etwas Trinkgeld und viele positive Rückmeldungen von den Gästen. Das ist doch was!

Heute werde ich meine erste Hurtigruten-Tour leiten, was etwas anspruchsvoller sein wird. Die Tour dauert zwar nicht länger, doch es gibt weniger Pausen und viel mehr Informationen, die ich weitergeben muss. Weil es meine erste Tour ist, wird mich ein Senior Guide begleiten, respektive überwachen. Ich denke aber, dass auch diese Fahrt ganz gut gehen wird, schliesslich war ich auf solch einer Tour schon sechs Mal dabei zur Vorbereitung. Wann ich also was erzählen muss, ist mir klar, nur die Art und Weise muss dann noch stimmen.... Ich habe mir Moderationskarten mit Stichworten geschrieben (jaja, mein Studium zahlt sich auch hier aus) und bin darum guter Hoffnung, dass alles gut geht.

Unterdessen ist auch das Paket mit meiner Wanderausrüstung angekommen, welches ein lieber Bekannter von Bern nach Oslo transportiert hatte und da aufgab. So bin ich nun gut ausgerüstet und kann nun auch mal auf eine kleine Wanderung gehen.

In der vergangenen Woche hatte ich auch genügend Zeit, meine Kamera auszuprobieren und darum hier mal wieder ein paar Bilder.

Stockfisch in Reine


Fischköpfe in Sakrisøy


Sonnenuntergang in Uttakleiv


Rørvikstrand bei Flut


Skulptur von Dan Graham




Bei Vikten


Unser Zuhause in Gravdal: Das blaue Haus


Sonnenuntergang von Mortsund aus

Donnerstag, 13. Mai 2010

Heute war ich auf Erkundungstour. Das Wetter war herrlich: Seit dem Morgen eitel Sonnenschein, strahlend blauer Himmel. Die Temperaturen sind noch nicht wirklich sommerlich und heute blies ein starker Wind.

Zusammen mit meiner deutschen Mitbewohnerin Winnie bestieg ich als erstes unseren Hausberg in Mortsund. Mortsund ist ein kleines Fischerdorf und wir wohnen noch bis Ende Woche in einer Fischerhütte am Wasser. Der Berg hinter dem Haus ist 363 Meter hoch - vom Meer aus reicht das so früh am Morgen...

Die Aussicht von der Fischerhütte «rorbu» aus

So stelle ich mir «Wohnen am Wasser» vor

Die Aussicht vom Gipfel war atemberaubend. Dank der guten Verhältnisse sahen wir bis zum Festland im Osten. Wir blickten auf Leknes, Gravdal und die anderen kleinen Dörfer im Westen und dahinter sieht man  den Atlantik. Was soll ich gross beschreiben, seht Euch die Bilder selbst an...

Sicht vom Breidtinden auf Leknes



Sicht auf Gravdal, wo ich ab Montag wohnen werde

Meine Mitbewohnerin Winnie

Das Festland ist nah und doch weit weg

Sicht auf unsere Hütte

Am Mittag fuhren wir nach Leknes, wo sich das Büro meines Arbeitgebers befindet. Dort erfuhren wir, dass wir erst am späten Nachmittag auf eine Tour mit Passagieren der Hurtigruten sollen. Wir amten noch nicht selber als Reiseleiter, sondern gingen mit, um zu sehen, was wir erzählen müssen. Wir hatten also noch ein bisschen Zeit, die Inseln weiter zu erkundigen und düsten mit unserem Mietauto nach Eggum. Naja, wollten wir zumindest. Doch überwältigt vom Sonnenschein und der herrlichen Natur, fuhren wir munter drauf los, ohne auf die Wegweiser zu achten. Eine brauchbare Karte hatten wir nicht dabei, da jene, die im Touristenbüro verkauft wurden, nicht meinen Vorstellungen entsprachen. So zogen wir ohne los. Naja, wir verpassten die Abzweigung nach Eggum und fuhren stattdessen nach Kvalnes. Das war keine schlechte Entscheidung, die Strasse führt dem Atlantik entlang und wir konnten uns kaum satt sehen. Von dort aus sahen wir auch den Felsen, an dessen Fuss Eggum liegt. Er ist 300 Meter hoch und wegen des ähnlichen Profils nennen ihn die Einwohner hier ihr Nordkap.

Der «Nordkap-Felsen» der Lofoten-Bewohner

Auch als Schaf lebt man am Wasser

Eggum übertraf alle unsere Erwartungen. Zwar liegen die Häuser wegen des Berges oft im Schatten, doch der weisse Strand, der dank der Berge heute ziemlich im Windschatten lag, ist kaum an Schönheit zu überbieten. Wir wussten, da sind wir nicht zum letzten Mal.

Strand bei Eggum



Eggum am Fusse des Berges

Sicht über den Strand von Eggum Richtung Vesterålen


Für morgen haben wir noch kein Programm. Auch in Norwegen ist Auffahrt ein Feiertag. Die Norwegerin an der Reception hier war ganz überrascht, als ich ihr sagte, dass auch in der Schweiz morgen gar nix läuft. Doch dann meinte sie: «Ihr Schweizer seid sowieso vernünftig. Ihr seid auch nicht in der EU!» Da hat sie wohl recht und es scheint, als fühlten sich die Norweger uns dadurch etwas verbunden. Mir solls ja recht sein.

Die ersten Seeadler-Bilder
Auf der Fahrt mit dem Sightseeing-Bus der Hurtigruten habe ich den ersten Seeadler gesehen. Es gibt Legenden, die von früheren Besichtigungen meinerseits berichten. Doch dieses Mal ist es mir gelungen, Beweisfotos zu machen ;-) Die Qualität lässt noch zu wünschen übrig, ich gelobe Besserung. Doch man erkennt den König der Lüfte wenigstens...

Da gleitet er hin

Mäjestätisch...

...schwingt er seine Flügel

Nun ist Mitternacht vorbei, draussen ziehen Wolken auf, doch noch immer ist es so hell, dass man gut draussen lesen könnte. Die Norweger haben vorsichtshalber aber mal die Strassenlaternen angezündet. Man weiss ja nie.... ;-)

Für mich ist heute Ende, müde wird man (zum Glück) auch, wenn die Sonne nicht untergeht.


 ps: das Internet hier ist nur mässig stabil, darum ist nun doch wieder Morgen ;-))