Montag, 24. Mai 2010

Dance The Swing!

Wenn ein Mann anständig tanzen will, sollte er nicht mich als seine Partnerin aussuchen. Ich habe das den Norwegern zu erklären versucht, doch es nützte nix. «Selber schuld», dachte ich und stürzte mich auf die Tanzfläche. Nja, stürzen ist etwas übertrieben. Liess mich wohl eher mitreissen.
Ich vergleiche die Lofoten ja gerne mit dem Tösstal. Vor allem, was die Menschen betrifft. In vielen Aspekten tue ich den Norwegern damit unrecht. Aber getanzt, das kann ich nun sagen, wird hier genauso wie im Tösstal. Disco auf dem Lande war gestern angesagt.

In Henningsvær, einem Fischerdorf 65 Kilometer von hier, fand das «Codstock-Festival» statt. Der Name natürlich in Anlehnung an das legendäre Woodstock. «Cod» ist das englische Wort für Kabeljau und so lautete das Festivalmotto «3 Days of Fisch and Music». Das konnten wir uns keinesfalls entgehen lassen und so fuhren wir gestern Abend dorthin. Wir suchten uns ein Konzert aus, welches um 22.30h begann (also die erste Band, die zweite zwei Stunden später, aber wer denkt schon an morgen, solange die Sonne scheint...).

Die Festhalle hatte eine ordentliche Grösse, die Norweger waren bereits gut gelaunt. Man merke: Bier wird im Ausgang konsumiert, egal wie viel es kostet. Und zwar in rauen Mengen. So ein durchschnittlicher Norweger ist ja auch 1,85m gross, so muss er auch viel trinken. Also in etwa so wurde es mir erklärt. In der Ecke sass einer unserer Busfahrer mit seiner Frau, und er begrüsste uns sogleich herzlich. Die Band spielte bereits, die Zuhörer standen und sassen und schunkelten. Der Raum vor der Bühne war aber menschenleer. Ich führte dies zuerst auf die Scheu der einheimischen Bevölkerung zurück. Doch falsch gedacht. Komplett falsch. Schon beim zweiten Lied zeigte sich, dass nur die Tanzfläche freigehalten wurde. Und so hüpfte jede und jeder, die oder der die Energie nicht mehr zügeln konnte, wild zum Irish Folk der norwegischen Band herum.

Sarah staunte, lachte und genoss. Auch unser Chauffeur stürzte sich in die Menge. Er schleuderte seine Frau herum und ich war mir nicht sicher, ob er zu betrunken oder zu nüchtern war, um den Takt zu finden. Verschwitzt und grinsend kam er auf uns zu und seine Frau vermittelte ihn kurzerhand uns als Tanzpartner weiter. «Do you wanna dance?», fragte Winnie, drückte mir ihre Tasche und ihre Jacke (ahja: mit der Garderobe habens sies nicht so, die Norweger, das gibts also nix anzustehen, zu treffen, zu umarmen....) in die Hand und verschwand.

Winnie lernte eine Lektion, die mir für etwas später in dieser Nacht vorbehalten war: Der nordnorwegische Ausgangstanz ist eigenwillig, man muss ihn können und ein «I can't dance» interessiert einen Norweger nicht. So war es nun sie, die von Leif-Arne herumgewirbelt wurde. Ich beschloss, die Szenerie fotografisch zu dokumentieren. Dies war der Steilpass für meinen Nachbarn: «Oh, can you send me the picture?» Äh, jawoll, hallo erstmal, würd ich da sagen. Mein Nachbar war ein Norweger wie aus dem Bilderbuch: Gross, blond, blaue Augen. Sein Vater ist pensionierter Polizist und arbeitet nun (ach wie überraschend) als Buschauffeur für Touristen, sein Grossvater aber, ja, der war Fischer (und noch mehr Verwunderung machte sich breit!). Aufgewachsen ist er in ebendiesem Fischerdorf Henningsvær. Unterdessen wohnt er aber in Harstad (sprich: Harrschschta), lässt sich das Codstock in der alten Heimat aber nicht entgehen. Im Englischunterricht hatte er entweder ganz gefehlt, Fische gezählt oder die Strahlen der Mitternachtssonne. Anwesend kann er kaum gewesen sein. Ich versprach, ihm die Fotis zu schicken und wir habens wirklich geschafft, im grellen Licht der Mitternachtssonne die E-Mail-Adressen auszutauschen.

Später an diesem Abend wurde ich desöfteren zu seiner Bierdosen-Halterin, habe seinen Cousin und dessen Freundin «Oh you know, he is sooo kind! Really! I am serious!! He is soooo kind!!! Maybe we will meet now more often» kennen gelernt, und mutierte dann eben zu seiner unfreiwilligen Tanzpartnerin. Er schlug alle meine Warnungen in den Wind. Doch schnell bekam ich zu hören «If you want to live in Nothern Norway you have to learn to dance swing.» Nun ist aber «Swing» ein weiter Begriff dafür, was die Norweger da tanzen. In meiner umfassenden Feldstudie mit zwei Tänzern (der Schofför bot mich später auch auf und da kann frau ja nicht nein sagen - das gespielte Selbstvertrauen, ja, das steht mir halt immer wieder im Weg!) fand ich heraus, dass alle nur dieselben vier Figuren kennen, niemand so genau weiss, was die Füsse eigentlich machen sollen aber wehe, frau dreht sich in der falschen Sekunde in die falsche Richtung! Naja, es könnte ja schon auch bitz ein Führungsproblem gewesen sein, doch sowas lässt mann in solch einer Situation nicht gelten.

Auf der Bühne standen unterdessen nicht mehr sechs Norweger, sondern vier Engländer. Der Tanz blieb aber derselbe. Wir wollen ja mal nicht übertreiben, ikke sant! (ikke sant heisst soviel wie «nicht wahr» und die Norweger, oder vor allem: die betrunkenen Norweger brauchen den Ausspruch inflationär, etwa so, wie einige Schweizer «oder»).

Mittlerweile war dann doch die Stunde schon fortgeschritten, der Promillegehalt im Blut der meisten Männer erheblich gestiegen, das Englisch wurde mit jedem Bier verständlicher und «ikke sant» kann man in dieser Phase des Abends auch mitten im Satz brauchen. Winnie und ich verabschiedeten uns also, schliesslich lagen noch 65 Kilometer E10 vor uns, die wir leider nicht im Schein der Mitternachtssonne, sondern im Grau der hellen Nacht in Angriff nahmen. Die E10 ist die grösste, also breiteste Strasse der Lofoten, kurvenreich wie eine Schweizer Passstrasse und als Sturzzone sind die Gräben links und rechts vorgesehen. Für betrunkene Autofahrer (und Touristen) also nicht geeignet. Winnie und ich fuhren diese Strecke seit unserer Ankunft aber täglich, meist jedoch im Bus, kennen doch aber langsam die Kurven und tuckerten sicher gen Gravdal.

Doch es ist erstaunlich, wie viele Leute in dieser Pfingstnacht in solch einer einsamen Gegend unterwegs sind. Nicht alle waren so nüchtern wie ich und einige verstanden unter dem Begriff «füdli schwänke» nicht unkontrolliertes Rumgehopse auf der Tanzfläche: Sie standen am Strassenrand, hielten ihr bluttes füdli in den kalten Nachtwind und liessen die Aktion von ihren Freunden auf den Chip der Digitalkamera brennen. Was genau sie für eine Reaktion erwarteten, weiss ich leider nicht. Ich weiss nur, dass es um einiges amüsanter ist, sich von einem norwegischen Schofför und Polizistensohn auf der Tanzfläche herumwirbeln zu lassen, als irgendwo in der kalten Schweiz zu planschen (jaa, das ist nun mal wieder ein Insider für einige Freunde, das muss man nicht verstehen...)

Den Busfahrer werde ich heute wiedersehen, schliesslich müssen wir ja auch in Norwegen arbeiten (anders kann man sich nicht mal als reiche Schweizerin das Leben hier leisten), der Polizistensohn hat mich angefleht ihn im Gesichterbuch zu suchen. Schliesslich will er mit mir an die Pferderennen in Leknes, einen Ausritt in Harstad machen und Fische zählen. (ok, Letzteres nicht und auf die Pferde kam er einfach so, und schwafelte dann was davon, dass er jemand kenne mit Pferden, der aber nur junge Pferde habe, die ein bisschen wild seien. Als er von meinen doch unterdessen 17 Jahren Reiterfahrung (tammi, bin ich alt!!!) hörte, erblasste er zuerst und war dann doch wieder beruhigt.) Wiedersehen also auf unbestimmt verschoben.

Ich halte mich nach wie vor an meinen Konfirmationsspruch «Prüfe alles und behalte das Gute» und so muss ich ja nicht den erstbesten Norweger schnappen, ikke sant!

1 Kommentar:

  1. Haha! Ein Polizistensohn also. Go, Sarah, go. :D Will dann vom "Fischezählen" hören, gell.

    AntwortenLöschen